Seelische und soziale Folgen

Seelische und soziale Folgen

Wie kaum eine andere Erkrankung bedeutet die Diagnose einer Leukämie oder eines Lymphoms mit den anschließend erforderlichen Behandlungen einen schwerwiegenden Einschnitt im Leben, zumal sie auch mit zahlreichen seelischen und sozialen Problemen verbunden ist. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, wie die psychosozialen Belastungen und einschneidenden Veränderungen infolge einer allogenen Blutstammzelltransplantation besser zu bewältigen sind und welche Hilfestellungen Patienten dabei erhalten können.

Psychosoziale Belastungen nach allogener Stammzelltransplantation

Eine Stammzelltransplantation stellt in allen Phasen (Vorbereitung, Transplantation, Rehabilitation und Nachsorge) besondere Herausforderungen an die Betroffenen im Hinblick auf die psychische Verarbeitung und Bewältigung. Die körperlichen Probleme sind dabei auf das Engste mit Stimmungsschwankungen und daraus resultierenden Reaktionen verbunden. Gerade in der Frühphase nach Transplantation sind die Anforderungen an die Patienten sehr hoch. Man bleibt von Medikamenten abhängig. Außerdem sind bestimmte Verhaltensregeln zu befolgen, die den gewohnten Alltag mehr oder weniger stark einschränken. Zugleich ist auf Seiten der Betroffenen das Bestreben da, möglichst bald wieder Normalität herzustellen.

Ängste, depressive Verstimmungen, Gefühle der Verunsicherung und Perspektivlosigkeit können in allen Phasen unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Sie sind zunächst als ganz normale Reaktionen auf die großen Belastungen der Behandlung zu verstehen. Psychische und körperliche Erschöpfung sind Reaktionen auf die belastenden Behandlungsprozeduren und werden oft erst nach der Transplantation in der Phase der Rehabilitation und Nachsorge verstärkt wahrgenommen.

Nach der Transplantation stellt sich oft zunächst ein Gefühl der Erleichterung ein, alles überstanden zu haben. Gleichzeitig wird für die Betroffenen jedoch auch spürbar, wie anstrengend die Therapie war. Schon bei Diagnosestellung war bei einem Teil der Betroffenen kaum Zeit, sich mit dem dadurch ausgelösten Schock auseinanderzusetzen. In einigen Fällen war es notwendig, sich in kürzester Zeit für eine sehr belastende Therapie zu entscheiden, diese durchzustehen und sich anschließend an die veränderten Lebensumstände anzupassen. Für viele Menschen bedeutet dies eine Überforderung. Es kann sein, dass die Energie jetzt fehlt, um die gewohnten Aktivitäten im Alltag wieder aufzunehmen.

Das kann dazu führen, dass sich Betroffene vermehrt zurückziehen und isolieren. Dadurch können sich auch depressive Reaktionen stärker zeigen, obwohl die Akutbehandlung abgeschlossen ist.

Es ist einerseits wichtig, dem Bedürfnis nach Erholung genügend Raum zu geben. Auf der anderen Seite gilt es darauf zu achten, dass die Immobilität nicht zu einem verstärkten körperlichen Abbau führt. Sowohl die frühzeitige körperliche Aktivität als auch ein regelmäßiger Kontakt mit anderen Menschen (in der Familie, mit anderen Betroffenen, mit Psychotherapeuten) ist für die Genesung und die Krankheitsverarbeitung von immenser Bedeutung. Hierbei ist es wichtig, dass der Patient das individuell richtige Maß an Anforderung und Erholung herausfindet.

Weitere psychische Belastungen zeigen sich in Symptomen wie ausgeprägte Erschöpfung, Gereiztheit, Schlaflosigkeit und in Partnerschaftsproblemen.

Statt der zu erwartenden Erleichterung, die Strapazen der Therapie überstanden zu haben, wird die psychische Belastung zu diesem Zeitpunkt erst richtig wahrnehmbar. Viele Transplantierte berichten, dass sie erst Wochen nach der Transplantation ausreichend Zeit zum Nachdenken hatten und die starken Belastungen dann erst

richtig spürbar wurden.

Die äußeren Veränderungen, wie z.B. fehlende Haare durch Chemotherapie oder Hautveränderungen durch GvHD und Cortison, führen zu Schamgefühlen und fördern das Rückzugsverhalten und die soziale Isolation. Das Benutzen eines Mundschutzes in der Öffentlichkeit erfordert viel Mut. Insgesamt wird von den Patienten berichtet, dass durch diese sichtbaren Veränderungen das Selbstwertgefühl leidet.

Bedingt durch die medizinische Behandlung, aber auch als Folge der ausgeprägten körperlichen und seelischen Erschöpfung kann es zu Beeinträchtigungen oder sogar zu Störungen der Sexualität kommen.

Unabhängig vom Lebensalter sind die Auswirkungen auf die Sexualität auch eine Herausforderung für die Partnerschaft. Am Anfang steht vor allem der Verlust des sexuellen Verlangens im Vordergrund. Auch durch die Verhaltensregeln nach Transplantation können Veränderungen in der Partnerschaft und Sexualität eintreten.

Wichtig ist dabei, dass der Patient gemeinsam mit dem Partner darüber spricht und sich die Partner ihre Bedürfnisse sowie die erlebten Veränderungen wechselseitig mitteilen. Das Thema Sexualität sollte auch aktiv mit dem Arzt angesprochen werden. Nur dadurch kann man entsprechende Hilfestellungen erhalten.

Partner, Familie und soziales Umfeld

Die Erfahrung zeigt, dass von der Transplantation nicht nur der Patient selbst, sondern sein gesamtes soziales Umfeld in einem besonderen Maß betroffen ist. Die Behandlung hat immer auch Auswirkungen auf die Partnerschaft. Bei einigen jüngeren Patienten bedeutet der meist unerfüllbar gewordene Kinderwunsch, neben den anderen oben beschriebenen Einschränkungen im Bereich der Sexualität, eine enorme psychische Belastung.

Während der Akutbehandlung übernehmen Partnerinnen und Partner ganz unterschiedliche Aufgaben. Sie sind die Hauptansprechpartner für alle: für den Patienten, die Ärzte, die Kinder, das familiäre Umfeld, die Nachbarn, die Arbeitskollegen. Die Angehörigen fühlen sich häufig hilflos. Sie erleben es als belastend, nicht aktiv in den Behandlungsablauf eingreifen zu können. Notwendige Ansprechpartner für die eigenen emotionalen Belastungen finden sich eher selten, da der kranke Partner nicht noch zusätzlich belastet werden soll und die „Anderen die Situation gar nicht richtig verstehen können“. Um so mehr ist sowohl in der Akutphase als auch in der Nachsorge darauf zu achten, dass für die Partner und die gesamte Familie Unterstützungsmöglichkeiten angeboten werden.

Als weitere mögliche Belastungsfaktoren für die Betroffenen und deren Familien stehen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus Veränderungen im bisher gewohnten Familienleben an. Es besteht die Notwendigkeit, gewohnte Abläufe zu verändern. Bisher bestehende Rollendefinitionen müssen überdacht und angepasst werden. Die Lebensplanung der ganzen Familie wird verändert und muss sich an den Vorgaben ausrichten. Dazu gehören Einschränkungen in der alltäglichen Lebensführung, wie z.B. die Vorgaben hinsichtlich der Ernährung und der Hygiene Infolge der Transplantation kommt es oftmals zu einer mehr oder weniger langen Phase des beruflichen Ausstiegs. Für einige Patienten ist in Abhängigkeit vom Lebensalter und der Art der Berufstätigkeit ein beruflicher Wiedereinstieg nicht möglich. Ein Großteil der Patienten kann jedoch in den Beruf zurückkehren. Bisweilen besteht die Notwendigkeit einer zeitlich befristeten Berentung, da die vom Gesetzgeber vorgesehenen Fristen der Krankengeldzahlung für die Genesung nicht ausreichen. Die daraus entstehende Unsicherheit bezüglich der weiteren Lebensplanung kann zu einem zusätzlichen Belastungsfaktor werden.

Darüber hinaus ist es wichtig, sich beim beruflichen Wiedereinstieg ins Berufsleben nicht übermäßig zu belasten. Hierfür sind stufenweise Wiedereingliederungsprogramme geschaffen worden, die es erlauben, die eigene Leistungsfähigkeit auszutesten. Es ist hilfreich, offen mit den Vorgesetzten und Kollegen die Einschränkungen anzusprechen, um sich nicht zusätzlich unter Druck zu setzen. Dadurch können mögliche Konflikte am Arbeitsplatz vermieden werden.

Was kann ich selbst tun?

Entscheidend für den Umgang mit den krankheits- oder behandlungsbedingten Belastungen und den daraus resultierenden Folgeproblemen ist die eigene Einstellung. Diese steuert unser Denken, unsere Bewertungen und unsere Gefühle. Die Belastungen und Folgeprobleme sind nun einmal vorhanden, aber wie die Patienten diese bewerten und wie sie damit umgehen und ob sie sie erfolgreich bewältigen, hängt ganz wesentlich von der eigenen Einstellung ab. Dafür ist es besonders wichtig, dass der Patient nicht nur all das wahrnimmt, was im Moment infolge der Transplantation nicht mehr möglich ist, sondern sich bewusst auf das konzentriert, was er noch in der Lage ist, zu tun.

Dies hilft, auch in der aktuellen Lebenssituation trotz der Probleme Wohlbefinden und Lebensqualität zu erreichen. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten und Sichtweisen. Weiterhin ist es wichtig, dass der Patient die ihm nahestehenden Personen wissen lässt, wie er sich fühlt und welche Bedürfnisse er hat. Das offene Gespräch hilft, unnötige Missverständnisse und unklare Erwartungen zu vermeiden.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass der Patient sich gut informiert.

Nur wer gut informiert ist, kann Probleme richtig bewerten, die richtigen Fragen stellen und dadurch die für ihn passenden Hilfestellungen herausfinden. Weiterhin ist es hilfreich, sich auf die gesunden Anteile zu konzentrieren, die gestärkt und gefördert werden können.

Sich bewusst zu machen, dass man trotz der zahlreichen Probleme auch noch über Fertigkeiten und Fähigkeiten verfügt, hilft, von der Defizit-Orientierung weg zu kommen. Ebenso sollte man ungünstige Einstellungen hinterfragen, die es einem schwer machen oder einen daran hindern, die gesunden Anteile spüren zu können. Einstellungen sind durch Erfahrungen geprägt, auch durch Erfahrungen mit der zurückliegenden Behandlung. Es ist wichtig, den Blick nach vorne zu richten. Es kommt darauf an, sich auf neue Dinge einzulassen und diese auch auszuprobieren. Man sollte bedenken, dass man in der Regel nicht alleine mit einem Problem ist, sondern Menschen um sich hat, die einem zur Seite stehen, wie z.B. die Familie, Freunde, Mitbetroffene oder auch die behandelnden Ärzte und psychosoziale Helfer.

Es kann also nützlich oder notwendig sein, Hilfestellungen anzunehmen, sei es von Angehörigen und Freunden, sei es von professionellen Helfern und/oder Selbsthilfegruppen. Auf die entsprechenden Möglichkeiten wird im nächsten Abschnitt eingegangen.

Welche Psychosozailen Hilfestellungen gibt es?

Psychische und soziale Probleme nach einer Transplantation werden heute als mögliche Folgereaktionen betrachtet und stellen keinen persönlicher Makel dar. Sie sind nicht als ein persönliches Versagen oder Scheitern zu bewerten. Die Wiedergewinnung von Selbstsicherheit und Selbstwertgefühl, die Vorbereitung auf die berufliche Wiedereingliederung und die Verbesserung der Kommunikation mit Partnern und Familie sind wichtige Themen. Die Anpassung an die gegebenen Einschränkungen, wie z.B. Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, sowie deren Bewältigung, sind ebenfalls zu beachtende Aspekte in der Nachsorge. Die Betroffenen müssen lernen, mit Unsicherheit und Lebensbedrohung umzugehen. Hierbei kann eine psychosoziale Beratung dem Patienten eine erste Orientierung geben und helfen, herauszufinden, ob und wenn ja welche weiteren Hilfestellungen notwendig sind. Handlungsleitend sollte die Vermittlung von Hilfe zur Selbsthilfe sein.

Mittlerweile sind in allen Transplantationszentren psychologische Fachkräfte und Sozialarbeiter integriert. Die Patienten können dort oder bei den örtlichen psychosozialen Krebsberatungsstellen anfragen.

Wenn schwerere psychische Belastungen im Sinne einer Depression, Angststörung oder sonstigen Anpassungsstörungen auftreten, kann eine professionelle psychotherapeutische Behandlung erforderlich werden, die dem Patienten die seelische Verarbeitung der Erkrankung und der Behandlungsfolgen erleichtert.

Patientenschulungsprogramme können helfen problembezogene Verarbeitungsstrategien zu erlernen. Künstlerische Therapien können den Genesungsprozess unterstützen.

Weiterhin hat es sich gezeigt, dass Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch der Betroffenen untereinander wichtig sein können. Die Hinweise auf die lokalen Selbsthilfegruppen der DLH oder andere Gesprächsangebote sind daher ein wichtiger Baustein der psychosozialen Hilfsangebote.

Vielen Dank für die Bearbeitung an
Prof. Dr. phil. Joachim Weis und
Dipl. Psych. Markus Birmele
Klinik für Tumorbiologie - Freiburg

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