Akute Myeloische Leukämie

Erfahrungsbericht einer AML-Patientin

von Hanne Gruß (2002 im Alter von 45 Jahren, aktualisiert in 2016)

Meine Geschichte

Hallo Ihr Lieben

Mein Name ist Hanne,  ich bin 45 Jahre alt, Arzthelferin und im Oktober 1999 an AML (akute myeloische Leukämie) erkrankt.
 

Wie alles begann:

Heute bin ich mir sicher es hat schon im Juli 1999 begonnen.
An einem Wochenende im Juli waren wir bei Freunden zum Zelten.
Als ich nach der ersten Nacht aufwachte, hatte ich höllische Kopfschmerzen und mir war total schwindelig. Hört sich nach Kater an (war das letzte Glas wohl schlecht?).
Aber die Kopfschmerzen waren leider mit normalen Mitteln nicht so schnell zu bekämpfen.
Die Schwindelgefühle wurden so schlimm, dass ich dachte ich werde ohnmächtig.

Am nächsten Tag fuhren wir wieder nach Hause und Kopfschmerzen und Schwindel waren nach mehreren Tabletteneinnahmen wieder weg.

Abends beim Duschen entdeckte ich lauter rote Flecken an beiden Beinen. Da die Flecken nicht juckten, dachte ich es wären Flohbisse (Zelt) oder ähnliches. Irgendwann sind auch diese Flecken wieder vergangen. Dann entwickelten sich am rechten Vorderfuß lauter „Pickel“ oder „Bläschen“, die sich weder mit Cortisonsalbe, noch mit anderen diversen Sälbchen bekämpfen ließen. Wenige Zeit später erkrankte ich an einem grippalen Infekt mit starker Müdigkeit, Gliederschmerzen, starken Kopfschmerzen (2-3 Aspirin in der Nacht) und Kurzatmigkeit. Kurz gesagt mir ging es einfach sauschlecht. Das ganze ereignete sich in der Zeit von Juli bis Oktober 1999.

Ich lasse mir Blut abnehmen (mache ich in regelmäßigen Abständen alle 6 Monate, letztmals im Juni 1999).

Dann kommt der Tag den ich nie vergessen werde.

Ich komme früh, wie immer als erstes in die Praxis und sehe es ist ein Fax von der Laborgemeinschaft gekommen (bei Laborwerten, die außerhalb der Norm sind kommt immer ein Fax). Die Werte sind katastrophal Leukos 55000, Thrombos total niedrig, das Diff.-Blutbild total unnormal. Als ich die Labornummer einem Patienten zuordnen will, bemerke ich voller Entsetzen, der Patient bin ich. Mein Gott ich habe Leukämie, ich habe KREBS – für mich war das sofort klar.

Ich rief sofort meinen Mann an und sagte: Du musst sofort kommen, ich muss bestimmt in die Klinik, ich glaube ich habe Leukämie.

Als mein Chef dann kam versuchte er mich zu beruhigen und meinte es könne auch eine Autoimmunerkrankung sein.

Mein Mann und ich fuhren dann sofort in die Universitätsklinik Würzburg (mein Chef hat vorher einen Termin ausgemacht). Dort wurde das Blutbild noch einmal kontrolliert und eine Knochenmarkpunktion durchgeführt. Viel Aua.  Eine Stunde später hatten wir die schreckliche Gewissheit. ES IST LEUKÄMIE. Ich habe Leukämie AML (akute myeloische Leukämie).

Therapie vom 22.10.1999 bis 28.03.2000

Am nächsten Tag ging ich dann, nicht sehr mutig mit meinem Köfferchen in die Klinik, meinen Mann hatte ich im Schlepptau. Mir graute es, denn ich war noch nie im Krankenhaus (außer als Kind). Nun hatte ich ein Zimmer mit Vollpension. Ich rauchte meine letzte Zigarette.

Es ging dann gleich los mit dem Legen des ZVK`s (zentraler Venen-Katheter ). Am nächsten Morgen ging es dann mit dem Wecken um 7.30 Uhr los. Bei mir wurde dann die Polychemotherapie mit MAV angelegt. Diese sollte jetzt 1 Woche lang laufen. Die ersten Tage ging es mir eigentlich ganz gut. Ich konnte zwar ohne Schlaftablette nicht schlafen, aber das war das kleinere Übel. Das Pilzmittel, das ich schlucken musste für Mundschleimhaut und Speiseröhre schmeckte verdammt ekelig. Nach ca. sieben Tagen ging es dann richtig los. Ich  war nur noch am brechen (trotz Antikotz-Ampulle vor der Chemo). Eine Woche lang wurde ich künstlich ernährt. Dann kam der Tag an dem alle Blutwerte in den Keller sackten und ich wurde ein ISOSTAR . Ich wurde in ein Einzelzimmer verlegt (wegen der Ansteckungsgefahr). Langsam gingen mir die Haare aus. Ich ließ mir eine Glatze scheren.

Ich sah richtig fetzig aus. Nun wird noch einmal eine Knochenmarkpunktion gemacht. Ist wieder sehr viel aua!! Meine Haut juckt, denn die Chemo trocknet alles aus. Nachts gibt’s ab und zu mal Fieberschübe, die aber mit Antibiotika gut zu beherrschen sind.

Ich bekomme meinen Befund von der Knochenmarkpunktion. Es ist alles okay. –Vollremission nach der 1. Chemo. Jetzt  kann es nur noch aufwärts gehen.

Am 15.11.1999 wurde ich für kurze Zeit dann nach Hause entlassen.

Am 24.11.1999 geht alles von vorne los: Knochenmarkpunktion, ZVK usw. alles was halt gescheit weh tut. Weiter geht es mit der Induktionschemotherapie mit MAMAC.

Dieses Mal bekomme ich vor jeder Chemo eine Ampulle Cortison, weil ich allergisch reagiere. Davon bekommt man ein Mondgesicht und nimmt an Gewicht zu.

Wegen der trockenen Augen muss ich mir nachts immer den Wecker stellen und mir alle 4 Stunden Augentropfen in die Augen träufeln. Ich wurde zur Stammzellentransplantation vorbereitet. Aber leider mobilisierte ich keine Stammzellen. Ich war deswegen ziemlich frustriert, doch mein Arzt sagte das ist eben manchmal so und ist auch nicht so schlimm.

Mein ZVK ist entzündet, muss neu gelegt werden, welch eine Freude. So zwischendurch wenn die Werte wieder im Keller sind, gibt es dann ein paar Thrombozytenkonzentrate und einige Bluttransfusionen. Nach der ganzen Prozedur werde ich dann mit einigermaßen guten Werten wieder mal am16.12.1999 nach Hause entlassen.

Am 10.1.2000 trete ich nun wieder an zum dritten Mal. Die gleiche Prozedur wie gehabt. Ist immer noch schrecklich schmerzhaft (KMP und ZVK).

Dieses Mal gingen mir die Medikamente ganz schön auf die Augen.

Ich wache früh auf und bin praktisch blind, ich kann meine Augen nicht aufmachen. Es tut so weh. Ich kann nicht frühstücken, ich kann gar nichts. Meine Bettnachbarin ruft meinen Mann an. Der kommt sofort und füttert mich (wie ein kleines Kind) und führt mich zur Toilette.

Aber auch das ist nach ein paar Tagen überstanden. Die Tage gehen dahin. Ich will endlich wieder nach Hause. Nach gut erholten Werten klappt es dann am 6.2.2000.

Nun komme ich zum allerletzten Mal, auch wenn Ihr alle soooo nett seid.

Es läuft wieder alles genauso ab. Ich nehme durch das Cortison immer mehr zu.

Blutwerte gehen hoch und wieder runter. Ich fotografiere die ganzen Schwestern, Pfleger und Ärzte die ich alle genervt habe (und die mich) weil ja alle so verständnisvoll waren. Das stimmt wirklich.

Drei Tage vor meiner Entlassung hat mein Mann ein Feuerwerk für mich alleine veranstaltet (verbotenerweise). War super.

Heute ist es nun so weit, ich werde entlassen, ich komme nie mehr wieder (nur zu Besuch).

Ich hab es endlich geschafft.

An dieser Stelle auch noch einen ganz heißen Schmatz und lieben Dank an meinen Mann, der in der ganzen Zeit immer zu mir gestanden hat, egal wie meine Laune war (meistens schlecht) und mir immer Mut gemacht hat. Er hat mir mich immer wieder aufgemuntert und mir kleine und auch große Geschenke gemacht. Z.B. hat er mir eine Gutschrift über einen Ford K geschickt, dieser war auf einmal bei einem meiner Abstecher Zuhause in der Garage gestanden. Er hat mir unter anderem eine Gutschrift über eine Karibikkreuzfahrt auf dem Clubschiff AIDA geschenkt (wurde bereits an Weihnachten 2000 eingelöst). Ich bin auf jeden Fall stolz auf meinen liebenswerten Mann.

Anfang April waren wir dann zusammen auf Kur in Bad Salzelmen in der Nähe von Magdeburg. Das hat uns beiden sehr gut getan.

Seit dieser Zeit  ab ging ich alle 4 Wochen zur Blutbildkontrolle. Im Februar 2001 war ich zur  Knochenmarkpunktion. Ab Januar 2002 gehe ich alle 8 Wochen zur Blutbildkontrolle. Die nächst KMP ist für August 2002 geplant. Es geht doch aufwärts, oder?!

Im Oktober 2000 habe ich dann mit meiner beruflichen Wiedereingliederung begonnen.

Am 5.3.2001 bin ich dann wieder voll ins Berufsleben eingestiegen.

Seit November 2001 arbeite ich nur noch 26 Stunden und das ist gut so.

Ich wünsche Allen die das Ganze noch vor sich haben, oder gerade mittendrin sind, viel Durchhaltevermögen, nur positive Gedanken und alles erdenklich Gute.

Es gibt ein Leben nach LEUKÄMIE, ganz bestimmt

Eure Hanne

verfasst Anfang 2002

Fortsetzung im Oktober 2002

Am 21.10. jährt sich die Diagnosestellung meiner AML zum 3. Mal.

Meine Hoffnung, die Krankheit besiegt zu haben, wird immer größer. Am 29.8.02 wurde wieder einmal eine Punktion durchgeführt, die wie immer sehr schmerzhaft war. Der Doc hat mir zwar Dormicum gespritzt, aber der "Schuss" ging wohl daneben. Mein Arm war ca. 14 Tage lang blau und gelb, also hatte er wohl die Vene verfehlt. Aber was soll`s: "ich lebe".

Das Ergebnis bekam ich dann eine Woche später: 100% in Ordnung, keine Leukämiezellen nachweisbar; was will ich mehr......

Physisch geht es mir gut. Ich arbeite nach wie vor 26 Stunden. Psychisch bin ich noch nicht geheilt und ich bin mir nicht sicher ob ich das je werde. Mit den "Ängsten" und "Albträumen" werde ich leben müssen!! Allen, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten, wünsche ich alles erdenklich Gute.

Liebe Grüße Hanne

Update Januar 2010

Hallo,

ich habe mich schon lange nicht mehr gemeldet und das hat einen guten Grund!!

Mir geht es sehr gut. Am 21.10. letzten Jahres (also 2009)  jährte sich meine Diagnose AML zum 10. Mal !! Was habe ich für ein Glück.

Es gibt noch etwas Neues zu berichten. Am 4.1.2010 habe ich  mit meinen 52 Jahren noch einmal einen Neuanfang gewagt. Ich arbeite nun im Krankenhaus in der Endoskopie. Hier werden Magen- Darmspiegelungen und Bronchoskopien durchgeführt. Diese Aufgabe ist für mich wirklich total neu und eine große Herausforderung. Aber nach fast vier Wochen kann ich sagen, ich habe meine Entscheidung nicht bereut.

An meine Amt-Erkrankung denke ich fast nicht mehr........ganz abschalten kann man nicht immer...aber das hat alles einen Sinn. Man darf trotz alledem nicht übermütig werden und ich bin immer noch unendlich dankbar, dass ich die Krankheit überstanden habe und wieder ein ganz normales Leben leben darf.

Ich wünsche allen Betroffen ganz viel Glück, Durchhaltevermögen und Lebensmut.

Es gibt ein Leben danach .... auch wenn es, wenn man mitten in der Behandlung steckt, undenkbar erscheint.

Mit meiner  „Geschichte“ möchte ich Euch Allen, sei es den Betroffenen, und auch den Angehörigen Mut machen.

In der Hoffnung, dass es jeder Einzelne von Euch schafft,  verbleibe ich und melde mich ganz sicher wieder.

Update Februar 2016

Hallo,

ich habe schon etliche Jahre nichts mehr von mir hören lassen... UND das ist ein gutes Zeichen!! Mir geht es nach wie vor bestens.

Mittlerweile bin ich 59 Jahre alt (jung) und meine AML liegt nun bereits 16 Jahre hinter mir.

Da ich eine teilweise sehr anstrengende Arbeit verrichte, ich arbeite 24 Std./Woche als med. Fachangestellte in der Mainklinik (Endoskopie) und 5 Stunden ausschließlich auf den Beinen bin, strengt mich diese Arbeit sehr an.... Iich glaube, dass ist aber nicht auf meine Vorerkrankung zurückzuführen, sondern auf mein Alter... ... langsam kommen die Zipperlein. Mein Knie schmerzt gewaltig (Arthrose), mein Handgelenk tut weh und mein Rücken meldet sich auch immer wieder mal. Es wird Zeit, daß ich endlich in Rente gehen darf. Aber die Beschwerden sind alle nicht so schlimm und normal.

Ich wünsche Allen die frisch erkrankt sind und denen die mitten in der Behandlung stehen, ganz viel Kraft, Durchhaltevermögen und einen großen Sack voll Glück, dass auch Ihr eines Tages sagen könnt: ICH BIN GEHEILT UND GESUND.


In diesem Sinne alles alles Liebe und Glück wünscht Euch

Hanne

Vielen Dank für den Bericht an
Hanne Gruß