Erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit bei Leukämie bzw. Typisierungsaktionen


von Michael Hebestreit

  1. Grundlagen

    1. Der Mensch im Mittelpunkt
    2. Quantität ist nicht alles
    3. Potenzielle Spender aufklären?

  2. Maßnahmen im Detail

    1. Pressemitteilungen
    2. Ganz wichtig: Fotos
    3. Eine überraschend gute Idee: Kinodias
    4. Spendenbriefe
    5. Was nichts gebracht hat

  3. Kontext
    1. Pressearbeit für Fortgeschrittene
    2. Zum Verfasser

Die gute Nachricht zuerst:

Wer sich hilfesuchend an die Presse wendet, der wird auf viel Verständnis und Hilfsbereitschaft der Journalisten treffen.

Die schlechte Nachricht:

Das Mediengedächtnis ist sehr kurz. Wenn man sich nicht ständig um Präsenz in den Medien kümmert, verschwindet man ebenso schnell aus den Nachrichten und somit aus den Köpfen der Menschen, wie man anfangs in die Schlagzeilen geraten ist. In kürzester Zeit ebbt dann die Solidaritätsflut ab. Deshalb: wenn Sie über einen längeren Zeitraum Hilfe benötigen, müssen Sie eine freundliche aber bestimmte Hartnäckigkeit gegenüber den Journalisten entwickeln.

In diesem Bericht, möchte ich Ihnen ein paar grundlegende Ratschläge vermitteln, wie sie im Falle einer Leukämie-Erkrankung "Werbung in eigener Sache" machen bzw. für Ihren Angehörigen oder Freund. Diese Selbsthilfe ist leider bitter nötig. Einerseits weil immer noch Knochenmarkspender fehlen, andererseits weil die teuren Typisierungsaktionen selbst finanziert werden müssen. Und nicht zuletzt auch, das sollten wir ebenfalls nicht verschweigen, weil häufig die Familie des Erkrankten finanzielle oder materielle Unterstützung benötigt, da das Krankengeld oft nicht zum Lebensunterhalt reicht.

Die hier genannten Tipps beruhen vor allem auf meiner beruflichen Erfahrung als Werbefachmann. Andererseits leider aber auch aus der praxisgerechten Erprobung. Ich war nämlich selbst an Leukämie erkrankt. Wenn ich also in diesem Aufsatz von "uns" berichte bzw. "wir" schreibe, dann meine ich meine Frau, meine Eltern und Schwiegereltern sowie zahlreiche Freunde und Bekannte, die sich seinerzeit für meine beiden Typisierungsaktionen engagiert hatten.

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1. Grundlagen


1.1. Der Mensch im Mittelpunkt

Es versteht sich von selbst, dass der Erkrankte im Mittelpunkt aller Aktivitäten steht. Es sei jedem Leukämiepatienten ans Herz gelegt, auch wenn er die öffentliche Aufmerksamkeit nicht so liebt, ggf. über seinen Schatten zu springen und offen mit den Medien umzugehen (Interview- oder Fotowünsche). Natürlich nur in dem Maße, wie er unter der Chemotherapie hierzu die Kräfte hat.

Die Spendenaktionen brauchen ein Gesicht für den Erfolg! Da können Sie jederzeit die DKMS oder das DRK fragen. Allgemeine, quasi anonyme Spendenaufrufe erzielen bei weitem nicht die Resonanz, wie diejenigen, die für einen bestimmten Patienten durchgeführt werden.

Fazit: Alle Aktionen brauchen einen Namen und ein Gesicht!


1.2. Quantität ist nicht alles

Die Erfahrung zeigt, dass die Solidarität, die sich in jeglicher Form von Spendenbereitschaft (Geld, Typisierung, Sachwerte) äußert, nicht durch einen besonders großen Presserummel steigern lässt.

Was heißt das? Sie brauchen nicht einen möglichst großen, evtl. sogar bundesweiten Presseverteiler. Es reicht ein kleiner aber feiner Verteiler in der Heimatregion. Also die Kreiszeitung, das örtliche Anzeigenblatt, evtl. der Lokalradiosender. Die Nähe zum Erkrankten fördert die Spendenbereitschaft!

Hierzu ein paar Beispiele.

Für einen Mitpatienten wurde in dessen Heimatstadt eine Typisierungsaktion durchgeführt: Eine Kreisstadt am Rande des Rhein-Main-Gebiets. Der Presserummel erstreckte sich über mehrere Wochen und war relativ groß. Die Resonanz war jedoch eher mager: es kamen etwa 200 Personen.

Kurz darauf wurde für mich eine Aktion durchgeführt. Wir wohnen in einem Dorf in Sichtweite von Frankfurt, in dem es durchaus etwas anonym zugeht, weil hier viele "Zugereiste", zu denen wir übrigens auch gehören, wohnen. Die Krankheit war gerade erst drei Wochen vorher erkannt worden, so blieb meiner Frau nicht viel Zeit, die Presse zu informieren. Vorab erschienen nur in unserer Lokalzeitung zwei Berichte. Trotzdem kamen kurzfristig über 430 Menschen!

Mehrere Wochen später organisierten meine Eltern und Schwiegereltern in meiner alten Heimat im fernen Westfalen eine Aktion. Es ist eine sehr ländliche Region. - Tiefste Provinz möchte ich, ohne jegliche Abwertung (!), sagen. Und obwohl meine Frau und ich seit über zehn Jahren dort nicht mehr wohnen, fühlte man sich mir bzw. meiner Familie sehr verbunden. Es kamen über 1.300 Menschen zur Typisierungsaktion!

Fazit: Nähe zum Betroffenen ist wichtiger als ein großer Presseverteiler.


1.3. Potenzielle Spender aufklären?

Mittlerweile habe ich viele Leute kennen gelernt, die sich typisieren ließen, ohne damals genau zu wissen, was im Ernstfall auf sie zukäme. Eine Knochenmark- bzw. Stammzellenspende ist bekanntlich nichts dramatisches, aber eben doch mehr, als nur die 10-ml-Blutspende zur Typisierung.

Sollte man also die Leute im Spendenaufruf komplett aufklären? Ich meine nein. Das würde die Kommunikation nur komplizierter machen und im Zweifelsfalle den einen oder anderen potenziellen Spender abschrecken. Dabei wette ich, dass selbst der größte Angsthase unter den Typisierten zum überzeugten Spender wird, wenn er plötzlich ein Menschenleben retten kann.

In den Unterlagen, die wir verfasst haben, ist deswegen stets nur die Rede von einer kleinen Blutspende ist.

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2. Maßnahmen im Detail


2.1. Pressemitteilungen

Gehen Sie unbefangen und frischen Mutes auf die Medien zu. Sie brauchen keine ausgearbeiteten Pressemitteilungen aushändigen. Schließlich betreiben Sie keine professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Sie werden erleben, dass das was bei Parteien, Vereinen oder Firmen niemals funktionieren würde, in Ihrem Fall geduldet wird.

So zum Beispiel erging es meiner Frau. Nachdem ich sie gebeten hatte, unsere Lokalzeitung auf eine Typisierungsaktion in der Region hinzuweisen (das war noch bevor die unter 1.2. erwähnte Aktion geplant wurde), fuhr sie spontan nach einem Krankenhausbesuch in die Redaktion. Der zuständige Redakteur war gar nicht da, trotzdem kümmerte man sich um ihr Anliegen und berichtete ausführlich.

Sie werden sehen, die Anteilnahme ist ehrlich und groß! Schwellenängste brauchen Sie nicht zu haben. Journalisten sind von Natur aus aufgeschlossene, kommunikative Menschen.

Allerdings kann es nicht schaden, wenn Sie Unterlagen über die Krankheit mitbringen, in denen sich die Journalisten fundiert informieren können. Denn mit Fehlinformationen will sich keiner blamieren. Das sollte aber kein Problem für Sie sein: Meistens liegen im Krankenhaus entsprechende Broschüren der Knochenmarkspenderdatei (DKMS), der Krebshilfe oder des Roten Kreuzes aus.

Merke: Der Journalist ist Ihr wichtigster Verbündeter!


2.2. Ganz wichtig: Fotos

Keine Pressemitteilung ohne Foto! Der Mensch ist ein Bildbetrachter. Schlägt er die Zeitung auf, schaut er automatisch zuerst die Fotos an. Danach werden die Überschriften überflogen und erst dann werden, gegebenenfalls, die Beiträge gelesen.

Und noch ein ganz wichtiger Tipp. Es gibt Bildwelten, die emotional besonders intensiv ansprechen. Das sind Fotos von/mit süßen Tieren und/oder Kindern - je jünger, desto besser. Also: im Zweifelsfalle nehmen Sie nicht das zwei Wochen alte, professionelle Passfoto des Erkrankten, sondern den ein Jahr alten, leicht unscharfen Schnappschuss, auf dem der Patient mit seinen Kinder oder Enkeln zu sehen ist.

Diese Regel gilt natürlich auch für Plakate oder Handzettel. Immer ein Foto in das Werbemittel integrieren!


2.3. Eine überraschend gute Idee: Kinodias

Überraschend gute Erfahrung durften wir übrigens mit Kinodias machen. Damit hatte selbst ich als Werbefachmann nicht gerechnet. Denn die Dias werden ja noch zur Einlaßzeit gezeigt und haben dementsprechend eine geringe Beachtung. Ferner ist die Mehrheit des Kino-Publikums sehr jung (14-29 Jahre). Daher hätte der Werbefachmann, wenn er denn vorher nach seiner Meinung gefragt worden wäre, mit Blick auf die Zielgruppe gesagt: "Das bringt sowieso nichts." Das Gegenteil war der Fall.

Ein junger Arbeitskollege meines Vaters hatte sich die Kinoaktion ausgedacht und alle Kinobesitzer in der Region angesprochen. Die hatten eine kostenlose Schaltung zugesagt. Da konnte man natürlich nicht mehr nein sagen.

Also verfasste ich einen Text für einen etwa 60-sekündigen Spot, der dann in einem kleinen Tonstudio aufgenommen und mit einem "dramatischen" Soundeffekt untermalt wurde (Studio und Sprecher verzichteten auf das Honorar). Die CD wurde zusammen mit einem Dia (Motiv: ich mit meinen zwei Kindern auf dem Schoß), an die Kinos geschickt.

Was soll ich sagen? Im abgedunkelten Kino muss die ganze Sache ziemlich unter die Haut gegangen sein. Jedenfalls fühlten sich überraschend viele junge Menschen angesprochen. Insbesondere junge Frauen entschieden sich noch spontan am Vorabend der Typisierungsaktion, an dieser teilzunehmen.

Also: Mut zur Lücke!


2.4. Spendenbriefe

Wie Sie sicherlich schon wissen, müssen Sie die Typisierungsaktionen im Wesentlichen selbst finanzieren. Sie werden daher voraussichtlich nicht drum herum kommen, von Firmen Spenden zu erbitten.

Hierfür hat die DKMS einen Brief vorbereitet, den Sie sich "ausleihen" können. In meinem Falle hatte die DKMS etwa 100 Entwürfe auf ihren offiziellen Geschäftspapieren ausgedruckt und meinem Schwiegervater zugestellt. Der druckte dann am eigenen PC die Adressen der örtlichen Firmen ein.

Meiner Meinung nach macht der DKMS-Brief jedoch ein bißchen zuviel Werbung für die Organisation und zu wenig für den Betroffenen. Wie ich schon sagte: die Aktion braucht ein Gesicht und einen Namen! Ich hatte daher den Brief damals etwas umformuliert.


2. 5. Was nichts gebracht hat

Blinder Aktionismus hilft wenig. Meistens erzielt er eher sogar das Gegenteil. Diese Erfahrung haben wir zum Glück nicht machen müssen.

Jedoch stürzte sich ein alter Vereinskollege nach bekannt werden der Krankheit sogleich auf seinen Computer und programmierte in seine private Homepage einen Spendenaufruf.

Gebracht hat dies meines Wissens nichts. Wie auch? Niemand vermutet im hinteren Winkel auf der privaten Homepage von Max Mustermann aus Kleinkleckersdorf einen Spendenaufruf. Dafür ist das Internet einfach zu unübersichtlich.

Was soll's. Geschadet hat es nicht. Aber meinem Bekannten hat es bestimmt geholfen, seine Ohnmacht gegenüber der Situation zu verarbeiten.

Was übrigens auch nichts bringt sind Kettenbriefe im Internet. Das Web ist einfach zu anonym.

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3. Kontext


3.1. Pressearbeit für Fortgeschrittene

Wenn Sie bei all dem Stress den Ehrgeiz besitzen, selbst Pressemitteilungen zu verfassen und auch noch professionell zu verpacken, dann finden Sie hier ausführliche Informationen:

(Anmerkung der Redaktion: Der Link ist nicht mehr gültig, ich versuche eine andere Downloadmöglichkeit zu finden)

Auf dieser Seite habe ich das Merkheft "Pressearbeit von A bis Z" zum kostenlosen Download hinterlegt. Es ist in der Reihe "Öffentlichkeitsarbeit im Verein" erschienen. Was aber an der Relevanz der Inhalte nichts ändert.

Zum Lesen des Dokuments benötigen sie Acrobat Reader von Adobe. Sollte diese Standardsoftware noch nicht auf Ihrem PC installiert sein, finden Sie ebenfalls auf der Website den entsprechenden Link zur Software.


3.2. Zum Verfasser

Michael Hebestreit, selbständiger Creative Consultant (Unternehmensberatung für Marketingkommunikation); im Sommer 2000 selbst an Leukämie erkrankt (AML) und im Januar 2001 mit Hilfe einer autologen Knochenmarkspende geheilt.

Anmerkung der Redaktion:
Herr Hebestreit ist leider im Frühjahr 2002 verstorben.
Sein Bericht ist sehr sinnvoll und kann auch nach seinem Tod vielen helfen. Wir haben uns deswegen entschlossen, den Bericht in leicht gekürzter Form weiter anzubieten. Entfernt wurde ein Absatz mit Downloadadressen von Beispieltexten und dem Merkheft "Pressearbeit von A bis Z". Die Dokumente lagen auf dem Server von Herrn Hebestreit.


Vielen Dank für den Bericht an
Herrn Michael Hebestreit
der über seinen Tod hinaus anderen Betroffenen hilft
Fragen zum Bericht senden Sie bitte an die Öffnet ein Fenster zum Versenden einer E-MailRedaktion