Wenn ich hier über meine ganz persönlichen Erfahrungen mit der Chronisch Lymphatischen Leukämie berichte, kann ich leider nicht schreiben, dass in meinem Falle alles zu einem guten Ende im Sinne einer Heilung gekommen sei. Zum jetzigen Zeitpunkt (Anfang 2002) ist diese Krankheit nicht heilbar.
Ich glaube, CLL als eine Art "Zeitlupenkrebs" zu bezeichnen, trifft die Sache ganz gut. Vorteilhaft daran ist, dass viele Patienten jahrelang nur beobachtet werden (das wird als "watch and wait" bezeichnet), der Nachteil daran ist, dass die Ärzte sich mit der Prognose sehr schwer tun. Bei mir wurde die Krankheit vor einem Jahr diagnostiziert, und mein Arzt kann mir immer noch nicht sicher sagen, ob ich zu der Gruppe von Patienten gehöre, die voraussichtlich jahrelang keine Chemotherapie benötigen, oder ob ich zu der Gruppe gehöre, bei der eine Therapie sehr bald nötig werden wird. Er kann mir auch nicht garantieren, dass diese Therapie dann auch erfolgreich sein wird. Wohlgemerkt, erfolgreich im Sinn einer Linderung der Beschwerden, nicht im Sinne einer Heilung. Das hat seinen Grund darin, dass diese Krankheit in vielen Fällen eben nur sehr langsam voranschreitet und auch darin, dass unter dem Namen "CLL" wahrscheinlich mehrere Krankheiten zusammengefasst werden, die für die Forschung noch nicht sehr gut unterscheidbar sind.
Vor etwas über einem Jahr begannen meine Halslymphknoten anzuschwellen, der Hausarzt stellte fest, dass ich zu viele weiße Blutkörperchen hatte. Von einem Internisten wurde daraufhin eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, die aufzeigte, dass viele meiner Lymphknoten vergrößert waren. Seine erste Diagnose lautete: "Sie haben ein Lymphom, dem zufolge ein hartes Jahr vor sich mit schwerwiegenden Behandlungen, aber dann werden Sie wieder gesund sein."Nachdem ein Onkologe und Hämatologe sämtliche Untersuchungen durchgeführt hatte, die z.B. in der Broschüre "Leukämie bei Erwachsenen" (Bestelladresse siehe Literaturliste) beschrieben sind, stand die Diagnose fest: "Chronisch Lymphatische Leukämie". Damit war klar, dass ich zwar unheilbar krank bin, aber dass ich gute Chancen habe würde, mir mein Leben für eine relativ lange Zeit einigermaßen erträglich einzurichten.
Es stellte sich heraus, dass ich auf Grund meiner Werte noch nicht therapiebedürftig war, allerdings war der Onkologe der Meinung, dass die Lymphknoten im Halsbereich demnächst meine Halsschlagader abdrücken würden und ich dann zusätzlich noch einen Schlaganfall bekommen würde. Deswegen sei sofort mit einer Chemotherapie zu beginnen. Ich fand über das Internet heraus, dass es in meinem Heimatort einen Spezialisten für CLL gibt, und dass viele Mediziner der Meinung sind, in einem Fall wie meinem aus mehreren Gründen mit dem Therapiebeginn so lange wie möglich zu warten. Bei Ärzten, mit denen ich befreundet bin, und bei Selbsthilfegruppen erkundigte mich, wie groß in meinem Fall die Gefahr sei, einen Schlaganfall zu bekommen und verweigerte daraufhin eine Therapie. Leider bekam ich bei dem CLL-Spezialisten erst eineinhalb Monate später einen Termin. Die Zeit davor, in der ich an jedem Morgen beim Aufwachen glücklich darüber war, dass ich noch nicht halbseitig gelähmt war, werde ich nie vergessen. Ich kann sagen, dass ich während in dieser eineinhalb Monaten zu einem anderen Menschen geworden bin. Schließlich war der Zeitpunkt der Untersuchung gekommen und der Speziallist war der Meinung, dass mit einer Chemotherapie noch nicht begonnen werden sollte.
Von einem Arzt, den ich ein halbes Jahr später aufsuchte, um eine weitere Meinung zu dieser Frage einzuholen, wurde mir noch einmal zu einer Chemotherapie geraten. Unter anderem, weil zu der damaligen Zeit über das Internet nichts über das empfohlene Medikament herauszubekommen war, weigerte ich mich abermals, mich therapieren zu lassen.
Da sich mein körperliches Befinden im vergangenen Jahr nicht wesentlich verändert hat, glaube ich letztendlich, mich richtig entschieden zu haben. Vielleicht muss man im Umgang mit dieser Krankheit eine gewisse Poker-Mentalität besitzen. Ich hoffe, dass mein Arzt mir nicht böse ist, wenn ich ihm diese hiermit unterstelle und zu einem Teil mit für seine Erfolge verantwortlich mache.
Die Symptome der CLL können sehr unterschiedlich sein. Oft ist es nicht klar, ob irgendwelche Beschwerden überhaupt etwas mit der Erkrankung zu tun haben. In meinem Fall sind die körperlichen Symptome folgende:
Die psychischen Veränderungen, die ich bei mir feststelle, sind sicher andere als bei Patienten mit Krebserkrankungen, die geheilt werden können, wenn sofort mit einer "Brutaltherapie" begonnen wird :
Seit meiner Diagnose arbeite ich nicht mehr in meinem Beruf. Soviel ich weiß, ist noch nicht geklärt, durch was eine CLL verursacht wird. Mit meiner Meinung, dass auf längere Sicht ein Schulsystem wie das Bundesdeutsche für alle Beteiligten, gelinde gesagt, eine gewisse Gesundheitsgefährdung beinhaltet, scheine ich aber nicht alleine dazustehen.
Da mir das Werkzeug Internet beim Umgang mit meiner Erkrankung gerade am Anfang so fundamental geholfen hat und ich massiven Rückhalt durch alle Arten von Selbsthilfeorganisationen und durch Mitpatienten bekommen habe, möchte ich meine verbleibende Arbeitskraft meinen "Leidensgenossen" in Formen von Patientenselbsthilfe widmen und beispielsweise weiterhin englische Fachtexte in laienverständliches Deutsch übersetzen. Nebeneffekt der Erkrankung ist, dass ich wahrscheinlich im letzten Jahr mehr Englisch gelernt habe als während meiner gesamten Schulzeit.
Das Pendel meiner Stimmungen schwankt seit einem Jahr zwischen den beiden Polen: "Angst vor Therapie und letztendlich Tod" und "Wenn die Zeit kommt, mache ich eben eine Therapie - was solls!". Momentan scheint glücklicherweise der zweite Pol überhand zu gewinnen und wenn mich letztendlich diese Krankheit doch einmal besiegen sollte, hoffe ich, ihr vorher noch kräftig in die Suppe gespuckt zu haben! Jetzt konzentriere ich mich darauf, eine schöne Zeit mit meiner Familie verbringen, die sich in den nächsten Wochen von vier auf fünf Mitglieder erhöhen wird. Ich warte darauf, dass findige Wissenschaftler möglichst bald bessere Mittel zur Behandlung der CLL finden. Die Hoffnung darauf scheint ja nicht ganz unberechtigt zu sein.
Vielen Dank für den Bericht an
Martin Bergmann
Martin Bergmann hat hier vier Erfahrungsberichte veröffentlicht: