Eine Erfolgsgeschichte der Hämatologie!
Im Jahre 1998 war ich 39 Jahre alt, und habe mich immer selbst als aktiven Menschen gesehen. Ich hatte bis dato 10 Jahre an einer Klinik gearbeitet und war Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie. Kranksein, Hilfe benötigen, das war nicht mein Ding.
Im September 1998 bemerkte ich zunächst, dass mich ein Freund bei einer Fahrradtour gnadenlos abhängte - na ja, schlechte Kondition. Nach einer weiteren Fahrradtour mit meinem damals 1 jährigen Sohn Stefan auf dem Kindersitz bekam ich Rückenschmerzen.
Eine selbst initiierte Diagnostik und Therapie setzte ein. Ein Magnetresonanztomogram wurde selbst organisiert, die Krankengymnastik wurde selbst verordnet. Nahezu unbemerkt von mir und meiner Frau Ulrike (ebenfalls Ärztin) setzte ein allmählicher Verfall der Körperkräfte ein.
Nahezu eindeutige Symptome wie Nachtschweiß (sogenannte B-Symptomatik) wurden auf andere Ursachen, z.B. Schmerzmittel geschoben. Einen Hausarzt gab es damals nicht - so was braucht ein Arzt ja nicht.
Als dann endlich Ende November ein befreundeter Internist aufgesucht wurde, war die Diagnose am 2.12.1998 niederschmetternd; 90 000 Leukozyten/myl, eine Leukämie. Die weitere Diagnostik bei einem Jugendfreund, der gerade seine Praxis für Onkologie eröffnet hatte ergab eine akute lymphatische Leukämie mit einem positiven Philadelphia-Chromosom. Ich fand mich in der sogenannten Hoch-Risikogruppe wieder.
Was nun - wie geht es weiter. Das Internet und der Onkologe zeigten mir recht schnell den Weg zu Prof. Hoelzer, Leiter der Onkologie an der Universitätsklinik Frankfurt auf.
Schnell wurde klar, dass eine Knochenmarkstransplantation die einzig reale Chance war um die Krankheit mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 - 50% zu überleben.
Zwischenzeitlich betete eine ganze freie Evangelische Gemeinde für mich, wahrscheinlich auch einige andere Freunde.
Und nun kam das Glück (oder etwas anderes?) ins Spiel, dass mich in der Folgezeit auch nicht mehr verlassen sollte. Meine jüngere Schwester Karen war als Knochenmarkspenderin geeignet. Sie war in der Familienplanung meiner Eltern eigentlich gar nicht mehr vorgesehen gewesen. Sie musste allerdings unverzüglich mit dem Abstillen beginnen, ihr Kind war gerade 6 Monate alt. Ihr Wohnort ist ebenfalls Frankfurt, ich selber wohne nur ca. 60 km von Frankfurt entfernt.
Nun ging alles ganz schnell. Ich wurde den üblichen Chemotherapieschemata der GMALL (German Multicenter Adult ALL Trials) unterzogen, der Anfang der ersten stationären Behandlung datierte auf den 1. Weihnachtsfeiertag 1998. Die Ärzte der Universitätsklinik behandelten mich von Anfang an ganz bewusst wie einen normalen Patienten, von dem medizinischen Fachgebiet meiner Erkrankung, der Hämatologie, hatte ich ohnehin keine große Ahnung.
Die Knochenmarktransplantation stand wie ein riesiges unbezwingbares Gebirge vor mir.
Aber was passierte um mich herum? Zwei Kinder, 1 Jahr und fast 4 Jahre alt, eine berufstätige Ehefrau, eine just in diesem Moment langfristig erkrankte Tagesmutter. Großeltern und Verwandte weit weg oder selber nicht mehr in der Lage zu helfen. Es gab eine große Welle der Hilfsbereitschaft auf allen Ebenen bei kleinen und großen Dingen. Kinderbetreuung, Fahrten organisieren und durchführen, Einkaufen, usw.. Unsere Paten und auch einige Freunde wuchsen über sich hinaus. Meine Frau legte Wert darauf weiterzuarbeiten. Sie leistet in dieser Zeit Unglaubliches. Finanziell und von Seiten meiner Arbeitsstelle gab es glücklicherweise keine wesentlichen Probleme.
Todesangst kam nicht auf, ich verdrängte alles und wurde depressiv. Mein allergrößter Antrieb waren die Kinder, die mit absoluter Unbefangenheit mit der Situation umgingen, z.B. dem Haarausfall, dem Erbrechen, der ständigen Müdigkeit.
Dann, Ende März 1999, ging es los mit der sogenannten Konditionierung; Chemotherapie und Bestrahlung zum Abtöten aller Zellen des blutbildenden Systems. Am 1. April 1999, dem Gründonnerstag bekam ich 80 ml einer klaren Flüssigkeit, eine sogenannte Stammzellentransplantation meiner Schwester. War das alles? Ja, dass war alles.
Nun kamen die gefährlichen 10 Tage, in denen ich keinen Infektionsschutz hatte. Ich lag auf der KMT Station der Uniklinik in Frankfurt in einem Zweibettzimmer und durfte sogar noch Besuch empfangen. Dies war sehr motivierend für mich. Am zehnten Tag zeigten sich in den Untersuchungen die ersten Zellen von meinem neuen, jetzt weiblichen Immunsystem. In der Folge ging es ohne nennenswerte Komplikationen aufwärts, am 28.April durfte ich wieder nach Hause. Die gesamte Familie holte mich mit viel Gepäck ab.
Nie werde ich die Frage meiner mittlerweile 4 jährige Tochter Felicitas vergessen, ob ich denn jetzt eine Frau werden würde, nachdem ich nun das Blutsystem meiner Schwester hätte.
Von nun an ging es weiter bergauf, allerdings hatte ich noch 2-mal Lungenentzündungen und musste mich wegen ständiger Infektionen noch einmal an den Nasennebenhöhlen operieren lassen. Im Juni 2000 fing ich wieder an zu arbeiten. Zwischenzeitlich konnte ich auch mein geliebtes Hobby, das Segelfliegen wieder aufnehmen. Fast alles andere wie Skifahren, Fahrradfahren usw. geht auch wieder. Manchmal habe ich auch meine ganze Krankheit fast vergessen (ich hatte eine Leukämie).
Was kann ich anderen als Erfahrung mitteilen?
Man darf nie den Mut verlieren, muss sich immer und bedingungslos selbst motivieren. Meine Erkrankung ist im Erwachsenenalter selten, man sollte keinen Weg scheuen um den oder die kompetentesten Behandler aufzusuchen und sich gut informieren.
Die Uniklinik in Frankfurt kann ich im Zusammenhang mit Leukämieerkrankungen vorbehaltlos empfehlen, auch was die menschliche Seite der Behandlung durch Pflegepersonal angeht.
Es ist legitim sich vor einer anstehenden Knochenmarktransplantation (KMT) bei mehreren Einrichtungen zu informieren und nach Fallzahlen (40-50/Jahr sollten es meiner Ansicht nach sein) und Ergebnissen zu Fragen. Gleichfalls kann man sich bei dieser Gelegenheit die sogenannten KMT Einheiten anschauen, eine eigenständige Station sollte auf jeden Fall vorhanden sein. KMT ist immer Teamarbeit und nicht nur die Kompetenz eines einzelnen Arztes.
Vielen Dank für den Bericht.